Freitag, 28. August 2009

Umsetzung 2

00:12 – 00:55 Uhr, Osnabrück Hauptbahnhof – oder: Keine Bahnhofskneipe, nirgends

„Er ließ noch einmal seinen Blick schweifen. Die Tür zum Bahnsteig knarrte leise im Spiel mit einem verwirrten Nachtwind. Dann war wieder alles ruhig.“

(Georg Fenek, „Der Nachtzug“)


Eine einzige Enttäuschung, diese Stadt. Voller Optimismus, dass es ab jetzt nur aufwärts gehen könne, steige ich aus besagtem Nahverkehrstriebwagen, finde mich auf dem Bahnhofsvorplatz ein und blicke mich ratlos um. Es sollte die erste Station auf dem Weg werden. Es sollte ein verheißungsvoller Auftakt werden, ein erstes Kaltgetränk auf dem Weg durch die Nacht. Und was sehe ich? Unbeleuchtete Fassaden, menschenleere Straßen und lediglich die Jungs am Taxistand bringen etwas Leben auf den Bahnhofsvorplatz. Die würden mich – nicht ganz uneigennützig – auch da hinfahren, wo „noch was los ist“. Mein Bedarf hält sich allerdings in Grenzen, denn nach dieser Form der Nachtgestaltung steht mir nicht der Sinn. Anstelle von kühlem Bier konsumiere ich an einem Automaten noch etwas Reiseproviant. Schon in Bielefeld kaufte ich einen Sechserträger Beck´s, der nun kongenial ergänzt wird mit zwei Schokoriegeln und einer Tüte Weingummis. Auf dem Bahnsteig hat der digitale Zugzielanzeiger bereits IC 2021 angekündigt, leider, aber durchaus erwartungsgemäß, mit Verspätung. Die hält sich allerdings im Rahmen: Zehn Minuten verzögert soll er ankommen, mein Nachtexpress. Die wenigen Wartenden vertreiben sich die Zeit mit unbeholfenen Gesprächsversuchen. Eben noch schien die Ankunft, vielmehr die Abfahrt des Zuges, etwas Schlimmes für sie zu sein, denn sie, die Abfahrt, würde zur Folge haben, von Menschen, die man liebgewonnen hat, auf eine gewisse Zeit getrennt zu sein. Nun aber, da das Zeitfenster, das einem gemeinsam zur Verfügung steht, sich entgegen aller Erwartung verlängert hat, wissen sie kaum noch, was es weiteres zu sagen gibt, und aus Verlegenheit schimpfen sie über die Verspätung, meinen aber eigentlich die entlarvende Begleiterscheinung der Sprachlosigkeit untereinander. Lediglich ein bärtiger Mann, den man früher einen Stadtstreicher genannt hätte, weiß inmitten der Reisenden frommes zu deklamieren. Er, der er wohl selbst wenn er wollte, in Ermangelung liquider Mittel niemals einen Nachtzug zum erreichen ferner Ziele besteigen könnte, erfreut sich an eben diesem Umstand und schimpft die ihn notgedrungen zur Kenntnis nehmenden als gottlose Terroristen auf dem unvermeidbaren Weg in die Hölle, den er als nichts anderes als die gerechte Strafe für ihr Verhalten betrachten müsse. Bahnhöfe bei Nacht waren schon immer ein Anziehungspunkt für Verrückte jedweder Couleur. Ein Grund mehr, sich auf ihnen wohlzufühlen!

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